Die fabelhafte Welt des Herbert M.
Das ist Herbert Müller:
Er liebt es, mit seiner Uhr herum zu spielen und großflächige bunte Tafelbilder und Folien zu kreiren. Er hasst es, lange still zu sitzen und zuhören zu müssen.
Weil die Begrenztheit eines normalen eindimensionalen Lebens seinen synästhetischen Geist anödete, erschuf er sich seine eigene fabelhafte Welt. Was Herbert dort sieht, hört, riecht, schmeckt und fühlt, übersteigt die Vorstellungskraft eines jeden normalen Menschen. Nur eine Gruppe von 11 arglosen, abenteuerlichen und bis dahin ahnungslosen Amazonen gab ihr Kriegshandwerk auf, um als wissbegierige Schüler die Metaebenen des Herbert M. zu ergründen.
Das sind wir:
Wir lieben warme Klassenzimmer und wir lieben es, wenn uns unser Lehrer Herr Müller Komplimente macht („Der Lk mit den schönsten Köpfen!“) und uns Süßigkeiten schenkt. Wir hassen die Hure Babylon und ihre hängenden Dächer sowie Verwirrung und unbeantwortete Fragen.
Das Abenteuer der letzten zwei Jahre forderte uns oft heraus und einiges war neu und ungewohnt.
Schon Herberts außergewöhnliche Gebete am Stundenbeginn machten uns skeptisch („Herr, bitte schenke uns einen Tag ohne Diebstahl und ohne Scheiße!“). Und auch ein paar Begriffsklärungen zu Beginn des Schuljahres hätten Missverständnissen entgegen gewirkt:
Dingsymbol, Dopplung, Systole – Diastole, Seinstragödie . . . . . . . . . . . . . .
Irritierend war zunächst auch das individuelle Raum- Zeit – Kontinuum, in dem sich das Leben und Denken des Herbert M. ereignet. Während wir uns beispielsweise bei Referaten an der linearen Zeiteinteilung der realen Welt richteten, ist in der fabelhaften Welt des Herrn Müller Zeit eine relative Größe. So hatten wir unsere Schwierigkeiten seinen Ansprüchen in der vorgegeben Zeit gerecht zu werden, was zu teilweise beliebigen Ausdehnungen des vorgegebenen Zeitrahmens führte.
In Herrn Müllers fabelhafter Welt trafen wir auch auf imaginäre Figuren, Symbol- und Märchenwesen. Gebannt verfolgten wir die lebhaften Gespräche unseres Lehrers mit diversen Kursteilnehmern, wobei die Anwesendheit der betreffenden Person keine zwingende Vorraussetzung war. Mit großen Augen beobachteten wir Herrn Müllers Unterredung mit Judiths leerem Stuhl. Während wir durch Herberts Welten surften trafen wir auf Iph-iphigenie und Steffi Briest, mit denen wir Schlusen in den See warfen. Unser Verhältnis zu Faust blieb leider distanziert, da er sich nicht von seiner Urangst vor Tod und Genitalien lösen konnte. Ein besseres Verständnis für Herrn Müllers maskulines Wesen konnten wir aufbringen, nachdem der Eisenhans uns die Mannwerdung in fünf Schritten erklärt hatte. Die essentielle Erkenntnis dieser geschlechtsspezifischen Überlegungen erfasste Herr Müller in den genialen Worten: Ja, ich denke, (Kunstpause) der wesentliche Unterschied zwischen Männern und Frauen ist, dass sie grundsätzlich verschiedenen Geschlechts sind.
Zwei Jahre (oder waren es 2 Sekunden, 8 Minuten, ein Tag?) des Abschweifens in die fabelhafte Welt des Herrn Müller haben unsere Beziehung zum realen Leben nachhaltig geprägt. Jetzt wissen wir, wenn es noch offene Fragen geben sollte, gibt es auch immer Antworten, die noch offener sind.